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Gastbeitrag von Björn Michael

23.03.2018

Dies ist der erste Teil, einer dreiteiligen Serie, bei der wir Menschen sprichwörtlich an ihrer Ehre packen wollen.

Deutschland - ein Leben in Selbstverständlichkeit

Hi, ich bin Björn, wer mich noch nicht kennt, der weiß vielleicht nicht, dass ich zurzeit in einem anderen Industriestaat der Europäischen Union lebe. Nun ja, noch!

Obwohl ich noch nicht plane umzuziehen, gehört dieser Staat wohl bald nicht mehr der Union an und wenn du nicht zu den wenigen Nachrichtenverweigerern gehörst, weißt du jetzt sicherlich, dass ich von Großbritannien rede.

Ich möchte das an dieser Stelle erwähnen, weil ich in diesem Wohlfahrtsstaat sehr viel über mich selbst lernen durfte und darüber, was uns Deutsche oft so Deutsch macht und was ich daraus lernen durfte. So hatte ich mich beispielsweise anfangs oft herzlich darüber lustig gemacht, dass an vielen Orten Englands die Erfindung der Mischbatterie für Wasserhähne noch nicht wirklich angekommen ist und somit Händewaschen mit warmen Wasser eine Herausforderung sein kann. Meistens endet dieses Projekt nämlich mit einer erfrierenden Hand und einer die gerade verbrüht. Wer noch nicht verstanden hat, wovon ich hier eigentlich rede, dem empfehle ich dieses kurze Video.

Aber auch viele andere Dinge, die für mich vorher selbstverständlich waren, haben ihre Selbstverständlichkeit seit dem Leben hier ein wenig verloren. Vieles davon sind eigentlich nur Kleinigkeiten und wahrscheinlich völlig irrelevant für dich und du willst jetzt sicher wissen, was das jetzt mit der Überschrift zu tun hat? Nun ja, da gibt es noch wesentlich größere typisch deutsche Selbstverständlichkeiten.  Ganz sicher auch in deinem und darüber will ich heute schreiben und verspreche dir auch, dass es nach wenigen Zeilen einleuchtender wird.

Sozialer Einsatz zu jeder Zeit

Jeden Tag passiert es hundertfach. Menschen in Not. Sei es ein Autounfall mit Verletzten oder sogar Todesfällen. Sei es ein Wohnungsbrand oder die arme Oma, die einen Herzinfarkt erleidet. Völlig selbstverständlich, dass in Deutschland innerhalb weniger Momente der Notarzt oder die Feuerwehr zur Stelle sind, wenn Mensch, Tier, Hab und Gut in Gefahr sind. Egal zu welcher Uhrzeit! Wir wählen die 112 und der Rettungsdienst ist innerhalb kurzer Zeit vor Ort. Selbstverständlich ist das so, oder?

Die Wartezeit für den Notarzt sollte zehn Minuten nicht übersteigen, sagt der Verband der Notärzte. Was aber, wenn diese Zeit viel länger dauert? Wer ist dafür verantwortlich? Wem würdest du die Schuld geben?

Es gibt aber auch andere Bereiche. So kümmern sich viele Leute von der Tafel um Bedürftige - Und wenn dann Ausländer wegen zu großer Auslastung dort abgewiesen werden, ist es normal, dass sich das Volk entrüstet beklagt. Oder, es gibt ja auch immer mehr, die sagen, da sind halt die vielen Immigranten schuld. So einfach ist das. Da müssen sich die Verantwortlichen doch drum kümmern. Man bezahlt doch nicht umsonst die vielen Steuern, für die so hart gearbeitet wird! Wen würdest du verantwortlich machen?

Wie du vielleicht merkst, habe ich mich etwas provozierend bis hierher geäußert und ich hoffe, dass du mir bis hierhin innerlich hier und da widersprochen hast, denn wie du vielleicht ahnen konntest, will ich auf etwas hinaus. In den beschriebenen Punkten gibt es eine Gemeinsamkeit und vielleicht hast du schon erraten welche.

Viele der Verantwortlichen, dessen Arbeit wir täglich als selbstverständlich in unserer Gesellschaft ansehen, engagieren sich Ehrenamtlich oder leisten Freiwilligenarbeit. Gehörst auch du dazu?

Lass mich mein Anliegen anhand eines Beispiels etwas verdeutlichen und dir vorab dazu folgende Frage stellen

Wieviel Prozent aller aktiven Feuerwehrleute in Deutschland gehören deiner Einschätzung nach der Berufsfeuerwehr an und wieviel Prozent sind der freiwilligen Feuerwehr angehörig?

Hier die Lösung:

Berufsfeuerwehr: ca. 2%

Werkfeuerwehr: ca. 2%

Jugendfeuerwehr: ca. 19%

Freiwillige Feuerwehr: ca. 76% *

Quelle

Die überwältigende Mehrzahl der Menschen also, die uns in den allerschlimmsten Momenten aus der Patsche helfen, machen dies in ihrer Freizeit - und unentgeltlich!!!

Haben dich diese Zahlen überrascht? Also mich schon etwas, denn obwohl ich durch meine eigene Familie mit etlichen Feuerwehrleuten verwandt bin und es mir eigentlich klar hätte sein müssen, war mir das eigentlich nie so wirklich bewusst gewesen.

Aber nicht einzig Unfall- und Katastrophenhilfe, Rettungsdienste oder Hilfe für Flüchtlinge und andere Hilfsbedürftige sind Bereiche die darauf angewiesen sind, dass sich Menschen Ehrenhaft engagieren. Weitere tragende Säulen für eine Gesellschaft sind auch folgende Bereiche

Es wäre schön, wenn Wohlfahrtspflege nicht nötig wäre – Der Verlust von Selbstverständlichkeit an anderer Stelle

Ich werde oft für meinen Idealismus kritisiert, belächelt oder gefragt, wie dass denn überhaupt funktionieren soll. Zum Beispiel dafür, dass ich geldfrei/er leben möchte. Oder, dass ich den Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens unterstütze. Ich habe dafür ehrlich gesagt keine allgemein gültige Antwort, darum soll es auch gar nicht gehen, aber es gibt sehr wohl schon Konzepte und Projekte die genau das ermöglichen wollen; so ganz allein bin ich mit diesem Gedanken also nicht.

In einem Land wie Deutschland, in dem im Moment nicht mal sterben kostenlos ist, mag dies aber zurzeit utopisch klingen und so möchte ich mich aktuell wenigstens für eines einsetzen:

Soziale Beteiligung

Wenn man selbst nicht beteiligt ist, ist es leicht anderen die Schuld für Missstände zu geben. Dazu braucht man sich nur ein paar der unreflektierten, kurzsichtigen und respektlosen Kommentare aus der Politik anhören, wie erst kürzlich vom designierten Gesundheitsminister Jens Spahn: "jeder hat das, was er zum Leben braucht". Ich will aber darauf gar nicht weiter eingehen und an dieser Stelle schon gar keine politische Diskussion entfachen. Dafür habe ich vielleicht ein anderes Mal Zeit und jeder kann sich dazu seine eigene Meinung dazu bilden. Das dies in Deutschland möglich ist, dafür bin ich dankbar, denn dafür wurde in der Vergangenheit viel geleistet – überwiegend ebenfalls durch Menschen die sich außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit für ihre Rechte und die Rechte ihrer Mitmenschen eingesetzt haben. Das gilt ebenfalls für den Sozialstaat wie wir ihn heute kennen, der vermutlich ohne ehrenamtliche Tätigkeit nicht möglich gewesen wäre. Dies zeigt uns die Geschichte des Ehrenamtes.

Also ich möchte in einer Umgebung leben, in der Menschen freundlich und hilfsbereit miteinander leben und aufeinander mehr Acht geben. Zum Beispiel, wenn beispielsweise ältere Personen versuchen in einen Bus einzusteigen - würde es dann nicht sinnvoll sein, dass der Bus solange stehen bleibt, bis diese Person einen Platz eingenommen hat?

Ich habe leider mehr als einmal ältere Personen, oder Kinder durch einen Bus rollen gesehen. In unserer verwirtschaftlichten Welt dauert es bestimmt nicht mehr lange, bis findige Busunternehmen auf die Idee kommen (bzw. meine hier dargestellte Idee klauen) und einen kostenpflichtigeren Zusatzservice für längere Standzeit anbieten. Denn, wo ein Problem ist, gibt es auch Kunden, oder?

Es gibt so viele Dinge, die es anzupacken gibt und immer wieder scheitert es daran, dass nicht genügend Menschen etwas ändern, weil man damit kein Geld verdienen kann, obwohl es doch eine gute Sache wäre. So hatte beispielsweise die Post einen (natürlich kostenpflichtigen) Service (Post Persönlich) für ältere Leute angeboten, der wieder wegen zu geringer Kundennachfrage eingestellt wurde. Es ging dabei darum, dass beim Briefzustellen Postboten, insbesondere bei älteren Kunden, regelmäßig nach dem Rechten sehen sollten und im Notfall um Hilfe rufen sollten.

Das diese Soziale Idee eine wirklich gute Sache ist, würde vermutlich jeder zustimmen, nur scheitert die Umsetzung letztlich wieder an der Wirtschaftlichkeit. Diese Geschichte ist meiner Meinung nach traurig und enttäuschend, aber ich bin mir sicher, dass es trotzdem Postangestellte gibt, die solche Hilfe von sich aus anbieten. Und so hat jeder Einzelne die Möglichkeit seine eigene Position bedeutender zu machen, wie dieser ehrenhafte Müllsammler.

„Es ist nicht deine Schuld, wenn die Welt ist wie sie ist, es ist nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“ – Die Ärzte

Warum machen wir Unterschiede, für was gezahlt wird, und was nicht? Wer entscheidet das? Der Markt? - „Der Markt reguliert sich selbst“ heißt es da immer, nur das Problem ist, dass bei dieser Annahme davon ausgegangen wird, dass wir Menschen zu jeder Zeit rational denken und handeln. Seit einiger Zeit beschäftigt sich die Wissenschaft aber damit herauszufinden wie unser Gehirn so funktioniert und heraus kam dabei, dass wir alles andere als rational handeln. Ein interessantes und unterhaltsames Buch zu diesem Thema ist das Buch von Dan Ariely - „Denken hilft zwar, nützt aber nichts“.

Die Realität sieht nämlich eher so aus, überall in den Industrieländern arbeiten Menschen für die Industrie und eine gar nicht so unbedeutend große Menge an Menschen machen Aufgaben, die einzig und allein darauf ausgelegt sind, andere Menschen zum Konsumieren zu bringen und entweder tatsächlich davon überzeugt sind, die Welt damit zu etwas Besserem zu machen, oder eigentlich selbst wissen, dass da ein riesen Aufwand für Produkte gemacht wird, die als „Innovation“ angekündigt werden, aber letztlich das gleiche in der tausendeinhundertundersten Variante. Naja, Hauptsache Wohlstand.

Aber was ist das für ein Wohlstand, in dem etwa 5% der Bevölkerung mit Depressionen zu kämpfen haben, oder Schulen sich zu fragwürdigen Lobbyismus-Aktionen hinreißen lassen, wie Werbelieder für Supermärkte zu singen?

Das Ende ist nicht das Ende

Fassen wir zusammen: Es gibt immerhin über 30 Mio. Menschen in Deutschland, die sich ehrenamtlich, freiwillig oder bedingungslos uneigennützig engagieren. Warum tun die das? Weil Geld eben nicht alles ist und schon gar nicht für Fairness, Gemeinschaftlichkeit oder Glück sorgt. Obwohl Geld in unserer jetzigen Gesellschaft sicherlich als Hilfsmittel zum Erreichen dieser drei genannten Punkte sorgt, sorgt die ungleiche Verteilung von Geld – und der Zwang zur Wirtschaftlichkeit  gleichermaßen für Elend und Missstände. Letzten Endes zählt nicht das Geld, obwohl es oft so scheint - es sind die Menschen - und du bist einer davon!

Die Möglichkeit heutzutage seine eigenen individuellen Wünsche und Ziele ausleben zu können, sind große Errungenschaften der Vergangenheit, die wir mit allzu großer Selbstverständlichkeit hinnehmen. Letztlich leben wir aber in einer sozialen Gemeinschaft (mittlerweile sogar global), in der wir eng miteinander verbunden sind und füreinander Verantwortung übernehmen müssen, sonst ist diese Freiheit wieder schnell verloren. Wenn wir Freiheit bewahren wollen und gleichzeitig Anrecht auf Sicherheit, Gerechtigkeit und soziales Füreinander einfordern, muss über diese Missstände und insbesondere über die Zusammenhänge diskutiert werden und jeder bereitwillig, auch ohne finanzielle Gegenleistung, seinen ganz persönlichen Beitrag zu leisten. YLP ist eine ehrenamtliche Initiative, die über die Zusammenhänge verschiedener gesellschaftlicher Themen informiert [hier kannst Du Dich informieren]. Es braucht nicht nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung, die sich um das Gemeinwohl kümmern, es bedarf jedes Einzelnen von uns in der Gesellschaft um diese zu einer zu machen.

Es gibt aber auch Kritik an einzelnen Initiativen. Zum Beispiel, dass die Tafeln nicht die Gründe der Armut bekämpfen – Dies sollte aber nicht bedeuten, dass diejenigen, die die Folgen von Armut bekämpfen ihre Arbeit einstellen sollten, sondern vor allem, dass diejenigen, die in der Position sind die Ursachen zu bekämpfen, in der Pflicht sind aktiv zu werden und auch ihre eigene Rolle im System hinterfragen müssen. Es gibt häufig große Aufschreie, wenn zum Beispiel wieder bekannt wird, dass ein Supermarkt Lebensmittel die noch intakt sind wegwirft. Aber mal ehrlich, wie viele Menschen sind denn überhaupt bereit für „unperfekte“ Produkte zu zahlen? Welche Rolle spielen wir selbst im System? Achten wir nicht alle im Laden darauf, dass wir „unser Geld“ nur für einwandfreie Produkte ausgeben? Wer übernimmt die Verantwortung? Was soll mit den Produkten, die niemand kauft passieren? Wie soll das Gleichgewicht hergestellt werden zwischen Verfügbarkeit und Überschuss? Als (verwöhnte) Kunden spielen wir dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wenn wir der Meinung sind, dass überschüssige Lebensmittel an Bedürftige gehen sollten, bedeutet dies denn nicht auch, dass es irgendwo auch Bedürftige geben muss? Wie sorgen wir in der Gesellschaft dafür, dass es genügend Bedürftige gibt? Oder muss es nicht so sein, dass wir alle an einer Gesellschaft arbeiten sollten, in der NIEMAND bedürftig ist, sondern einfach nur ein Teil der Gemeinschaft?

Deine Zeit ist mehr wert als Gold

Dir darf alles was ich bis hierher geschrieben habe egal sein und es sei dir frei mich für meine Ansichten zu kritisieren, wenn du deine Gründe dazu hast. Was dir nicht egal sein möge ist, welche Veränderung du dir zum Thema Gemeinwohl wünscht.

„Sei du selbst die Veränderung die du dir wünschst für diese Welt“ – Ghandi

Wie es geht, und was du davon hast, erfährst du im nächsten Beitrag. Ich werde dir dann ein paar konkrete Tipps und Ideen geben, wie du dich engagieren kannst, wenn du etwas ändern möchtest. Solltest du schon Freiwilligenarbeit leisten, wirst du ein paar Anregungen finden, wie du dafür sorgen kannst, noch mehr Menschen zum Handeln zu bewegen und sage dir, was Achtsamkeit mit alledem zu tun hat. Teile uns doch deine Erfahrungen und Gedanken zum Thema mit.

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