Gastbeitrag von Björn Michael

21.11.2018

Erster Teil: Ehrenhaft - Warum arbeiten 30 Millionen Deutsche ohne Gehalt?

Zweiter Teil: Ehrenamt - Der perfekte unbezahlte Job

 

Ehrenamt in Aktion – hereingeschaut meine Damen und Herren

Wodurch werden Sie angetrieben?

In der Zeitung auf der dritten Seite unten rechts in der Ecke ist ein kleines Bild mit vier Leuten zu sehen. Der Herr und die Dame in der Mitte haben Blumensträuße in der Hand und links und rechts davon platziert dekorieren Bürgermeisterin und Vertretung das Titelbild. In der Überschrift steht „Ehrenamtler Ausgezeichnet“. und erhalten eine goldene Nadel für langjährige ehrenamtliche Tätigkeit. Ergänzt wird der Titel mit: „Das Ehrenamt – unentgeltlich, aber nicht umsonst“

Am Ende des Beitrags folgt noch ein Zitat, denn bei der Ehrung zeigte sich der ausgezeichnete Ehrenamtler bescheiden: „Ich freue mich natürlich darüber, dass ich hier ausgezeichnet werde. Aber diese Auszeichnung gebührt sicherlich auch vielen anderen Leuten mit Betrieben, in denen das ähnlich läuft.“ Ein typischer Beitrag über das Ehrenamt, wie er immer wieder mal in der Tageszeitung vorzufinden ist.

Manchmal beteiligen sich Menschen aus vermeintlichem Selbstinteresse, wenn sie sich zum Beispiel von Fluglärm gestört oder von der Politik übergangen fühlen. Stuttgart21 hat gezeigt, welche Dimension Engagement aktiver Bürger annehmen kann, aber auch welches Enttäuschungspotential es hat, denn vielmals verlaufen Bemühungen im Sande. Die großen Visionen und Wünsche weichen politischem Pragmatismus und dessen Entscheidungsgewalt. Aber oftmals ist nicht die Politik das entscheidende Puzzleteil. Gerade bei großen Projekten fehlt bei den Engagierten an Durchhaltevermögen und Ressourcen in Form von reger Beteiligung freiwilliger Bereitschaft. Wie kommt es also, dass es einigen besser gelingt sich nicht zu Handlungsunfähigkeit zermürben zu lassen?

Große und kleine Visionen

Petra Drammeh vom Verein Yirabah e.V. hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Zum einen, weil sie eines der herzhaftesten Lachen hat, die ich kenne und weil sie eine engagierte Frau, mit großem Wissen ist, als auch Liebe ihren Mitmenschen gegenüber zeigt. Trotz allen Wiederständen in ihren Tätigkeiten bringt sie ihre Überzeugungen voran – mit ihrem Verein für Echte Entwicklung in Afrika. Das ursprüngliche, hoch gesetzte Ziel für das Projekt ist mittlerweile sogar übertroffen. Motiviert und energisch bleibt sie, um etwas gegen das Nord- Südgefälle zu tun.

In meinem persönlichen Umfeld erstaunt mich außerdem immer wieder eine Fraktion besonders, nämlich die der Feuerwehrleute. Egal wer von den mir bekannten vielzähligen Vertretern dieser Fraktion, von außen betrachtet könnte man sie für verrückt erklären. Mein Schwager gehört ebenfalls dazu. Ich habe ihn also befragt und für ihn fing „es“ damit an, dass der Papa das große Vorbild war. Seine Vision: Vorbildhaft im Umgang mit Menschen in Not zu sein und auch das gesellschaftliche Umfeld mitzugestalten, so wie er.

Your Little Planet ist ebenfalls eine auf freiwilliges Engagement basierende Initiative, deshalb konnte ich es natürlich auch nicht unterlassen Nicolas zu befragen, was ihn zum Teufel nochmal dazu treibt sich so viel Aufwand mit der Webseite, aber auch insbesondere mit den Projekten, aufzuhalsen. Die Antworten sind schlicht. Nicolas sagt: „Unsere Gesellschaft braucht das einfach.“ Und ergänzt: „Ich empfand die Menschen um mich herum zu negativ und brauchte einfach die Möglichkeit anzupacken. Mich treibt die Erkenntnis, dass ich das was ich tue gar nicht als Job machen kann und doch, es braucht Menschen, die sich um diese Themen kümmern.“

Auf dem Boden der Tatsachen!

Aus meiner eigenen Vergangenheit bleibt mir immer insbesondere eine paradoxe Szene in Erinnerung. Es war eine Veranstaltung, bei der es um die aktuelle Situation um das Mittagessen in den umliegenden Kindergärten ging, bei der ich als Elternbeirat teilnahm. Bei der Veranstaltung wurde erläutert, wie die Abläufe sind und was es zu beachten gibt und was es auch die finanziellen Herausforderungen wurden erklärt. Einige der anwesenden Eltern beschwerten sich energisch über die aktuelle Situation.
Die Veranstaltung war aber nicht nur eine reine Informationsveranstaltung, sondern auch zeitgleich die Wahlveranstaltung für den Elternbeirat – also eigentlich die perfekte Möglichkeit selbst aktiv zu werden. Man möge glauben, dass insbesondere die sich beschwerenden Damen sich um die offenen Positionen gerissen hätten, um anschließend mit dem Herz in der Hand für bessere Bedingungen für die Kinder gekämpft hätten. Die Realität sah aber ein klein wenig anders aus.

Mit Mühe und Not wurden drei Freiwillige am Ende gefunden, mehr aus Verlegenheit, als aus Überzeugung. Die drei Damen, die sich am meisten über die ihrer Meinung nach prekäre Situation beschwerten waren nicht dabei. Eine Situation, wie ich sie zuhauf auf ähnlicher Weise auch woanders feststellen musste.

Jedes Jahr lassen sich vielerlei Vereinsvorstände neue Zaubertricks einfallen, um Nachfolger, oder Unterstützer zu finden. Und egal wo, überall mangelt es Nachfolger, oder Unterstützung. Wehe aber, irgendwas läuft nicht so gut…schon wird sich lautstark über die Zustände beklagt.

Durch meine eigenen Erfahrungen fällt es mir mittlerweile leichter auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, wenn aus mir selbst mal wieder der Besserwisser herauskommt und die Erinnerungen an die Erlebnisse geben mir die Möglichkeit meine Haltung zu prüfen.

Was das bringt? Ich weiß mich besser einzubringen und zu beteiligen und kann mich selbst immer mehr verwirklichen.

Es birgt aber auch durchaus ungewünschte Erkenntnisse:

Die Beteiligung als Helfer liefert leider auch oftmals nicht die große erhoffte Wendung und Veränderung, die man sich ursprünglich vorgestellt hat. Aktiv dabei sein bringt aber einen neuen Blickwinkel, von dem aus die Betrachtung des Anliegens sich verschieben kann. Ja, vielleicht ist etwas nicht so einfach umzusetzen, wie man es sich vorstellt, da vieles, was wir als selbstverständlich betrachten oftmals doch viel komplexer ist, als es von außen erscheint. Beteiligung (Selber machen) kann einen ganz schnell auf den Boden der Tatsache zurückholen. Vielleicht auch die Damen, die nun möglicherweise das Kindergartenessen gar nicht mehr so schlimm fanden. Ich kann natürlich vor allem nur für mich sprechen, aber ich jammere durch die Lehren der ehrenamtlichen Tätigkeiten weniger. Auch wenn ich mir vielmals wünsche, dass sich Dinge ändern sollten.

Wenn das alles so einfach wär, aber so einfach ist das leider nicht“

– wie die Band „Die Ärzte“ schon zu sagen pflegte

Freiwilliges Engagement ist eine großartige Möglichkeit den inneren Großkotz mal ordentlich zum Schweigen zu bringen, oder aber tatsächlich sogar bedeutendes zu leisten.

Bleibt noch Platz für Hoffnungen?

Jeder, der sich in irgendeiner Weise einmal mit freiwilligem Engagement beschäftigt hat, wird früher oder später auch ins Zweifeln kommen. Besonders wenn es um den sozialen Bereich geht. Viel zu oft stößt man auf schier unüberwindbare Hürden. Steine werden in den Weg geworfen, oder die Voraussetzungen sind einfach nicht vorhanden.

Wenn aber Veränderung oftmals hoffnungslos erscheint, lohnt sich die Mühe denn überhaupt?

Kommt es vielleicht darauf an, welche ethischen Werte man vertritt? Welche Haltung habe ich zum Beispiel, wenn jemand in Not ist und die Situation ausweglos erscheint?

Geht es beim Engagement immer darum „das Richtige zu tun“? Oder geht es darum, herauszufinden welche Möglichkeiten es überhaupt gibt? In meiner Arbeit im Betriebsmanagement habe ich viel darüber gelernt, wie Probleme gelöst werden. Diesen Erfahrungen nach werden Probleme in der Regel nur über längere Zeit gelöst, nur selten sofort – und ja, es tauchen zumeist auch wieder neue Probleme auf. Ob diese aber eher schlimmer, oder weniger schlimm sind, das gilt es eben erst dann herauszufinden und kann man nicht grundsätzlich im Vorhinein evaluieren, auch wenn wir uns das immer so gerne wünschen.

Ich möchte versuchen an einem Beispiel zu erklären was ich meine.

In Not!

Jede Lösung für eine Situation bedarf eine individuelle Lösungsstrategie. Denn Voraussetzungen können sehr unterschiedlich sein. Wer sich damit noch nie beschäftigt hat, neigt möglicherweise dazu sehr schnell Situationen vorschnell zu bewerten.

Nehmen wir mal eine leicht vorstellbare Situation:

In einem Fluss mit starker Strömung ist ein Mensch in Not! Jemand beobachtet diese Situation.
Wer ist für die Rettung/ das Scheitern der Rettung verantwortlich? Was ist deine Lösungsstrategie? Gibt es nur eine „richtige“ Strategie?

Angenommen du bist die Person, die die Situation beobachtet, würdest du in solch einer Situation vielleicht selbstlos in den Fluss springen und dich möglicherweise daraufhin ebenfalls in Gefahr bringen? Denkst du darüber nach, welche Hilfsmittel dir die aktuelle Situation überhaupt bietet? Gibt es zum Beispiel einen Rettungsring in der Nähe? Bist du Rettungsschwimmer? Gibt es weitere Menschen um dich herum, von denen jemand ggf. besser helfen kann, als du selbst? Hast du ein Telefon zur Hand und überhaupt Empfang? Vielleicht kannst du ja nicht einmal schwimmen? Möglicherweise gibt Menschen, die sich professionell um die Rettung kümmern. Sind es aber genug? Wodurch werden sie finanziert? Wird deren Arbeit wertgeschätzt?

Diese Liste könnte weiter ausgeführt werden.

Was ist jetzt aber „das Richtige“? Wer würde behaupten, dass eine mögliche Lösung sein kann, dass der Mensch möglicherweise nicht zu retten ist, aber zumindest die Situation lehren kann, wie für die Zukunft über viele weitere Schritte mehr Sicherheit geschaffen werden kann?

Übertragen auf freiwilliges Engagement wird vielmals so argumentiert, dass die einzige Lösung lautet, dass der Mensch in Not direkt gerettet werden muss – also hops, ab ins Wasser und wenn es unmöglich für einen selber erscheint, dann eben nicht – und einfach weiter des Weges, als ob nichts war und obendrein wird willkürlich jemand anderes schuldig gesprochen. Vermutlich vielleicht der Ertrinkende sogar selbst. Die vielen Möglichkeiten, selbst eine wenn auch nur eine winzig kleine Rolle zu übernehmen, wird vielmals nicht in Betracht gezogen.

Was wünschen sich eigentlich Freiwillige?

Natürlich spielt Geld beim Ehrenamt auch vielmals eine Rolle, aber es steht in der Regel nicht im Mittelpunkt und daher werden oft alternative Lösungswege gesucht und zumeist gefunden. Petra meint: „Was auf der Arbeit nicht geht, kann sich der Verein erlauben. Ich wünsche mir, dass sich die Menschen besser informieren und wenn etwas schwierig erscheint Durchhaltevermögen und einen gewissen Grundwillen zeigen. Dann ist vieles möglich.“

Alexander zitiert in unserem Gespräch den Spruch: „Raus aus dem Alltag – rein ins Ehrenamt." Und ergänzt: „Die großen Stärken der ehrenamtlichen Arbeit in der freiwilligen Feuerwehr sind die soziale Beteiligung. Man lernt Menschen kennen, die man sonst nicht begegnen würde, über alle sozialen Schichten hinweg. Jeder Einsatz dient dazu etwas Positives zu lernen – auch wenn die Ausgangslage etwas sehr Ernstes ist, wie in meiner Vergangenheit ein Kind, dessen Leben ich nicht mehr retten konnte.“ Sollte Alex deswegen darauf verzichten in Zukunft weitere Menschenleben zu retten zu versuchen? Vielleicht hilft aber seine Jugendarbeit dabei, dass sie der Nachwuchs die Chance hat jemand weiteres zu helfen. Oder aber, dass sie sich dafür einsetzen, dass die Arbeit von Feuerwehrleuten in der Gesellschafft wieder mehr Aufmerksamkeit bekommt – nicht nur dann, wenn das eigene Hab und Gut, oder das eigene Leben in Gefahr ist. Alex wünscht sich, dass sich Menschen trauen „Einfach mal vorbeizuschauen und zu überlegen, ob in irgendeiner Form nicht doch Unterstützung geleistet werden kann. Die Feuerwehr nimmt jeden, du musst es nur wollen! Es behauptet doch niemand, dass du gleich in ein brennendes Haus rennen musst, aber neue Perspektiven können dein Leben nachhaltig beeinflussen.“

Was im Job oft nicht geht – kann in freiwilligen Engagement gelebt werden

Alex erzählte mir von einer Auszeichnungsveranstaltung für Ehrenämtler und meinte „Mir wurde das Ausmaß von Ehrenamt überhaupt erst bewusst. Es war erstaunlich um welche Themen sich Menschen überhaupt kümmern und weshalb dies wichtig ist. Ich war bisher ja nur in meiner kleinen Welt der Feuerwehr, bei der Veranstaltung durfte ich sehen, was andere Menschen wichtig finden. Das war ein toller Moment.“

NEIN sagen – was man nicht will, muss man auch nicht. Es kann dich niemand zu etwas im Ehrenamt zwingen, dies ist eine großartige Möglichkeit und im Vergleich zum üblichen Angestelltenverhältnis. Einen schönen Einblick gibt es dazu im lesenswerten Artikel Perspektivenwechsel: Wichtig ist nicht, was ich mit dem Ehrenamt schenke, sondern was freiwilliges Engagement mir gibt.

Die Top Argumente für freiwillige Beteiligung meiner ausgewählten Gesprächspartner und mein Schlusswort für das Themen-Spezial „Ehrenamt“

  • Jede Aktion dient dazu das positive lernen zu können
  • Positive Menschen in der Region treffen
  • Möglichkeit etwas völlig anderes zu tun, als im Beruf
  • Die eigenen Qualifikationen anderen Menschen zugänglich machen
  • Vorbild für die nachkommende Generation sein
  • Auch mit wenig lässt sich viel erreichen

Die Welt ist eine kunterbunte, multidimensionale Skulptur. Von Millionen Menschen gestaltet, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Was sind unsere Beiträge? Wollen wir etwas am Kunststück verändern und schaffen wir es das Objekt zu verschönern? Oder halten wir uns raus und kritisieren nur? Nach uns kommen weitere Künstler, was sollen sie erhalten und macht es trotzdem Sinn jetzt zu gestalten, wenn doch ewig daran weiter gewerkelt wird?

Denken hilft zwar, handeln nützt aber letztlich mehr. Ich lade dich ein auf weiteren Austausch, zu reger Beteiligung an unserer wertvollen Verbundenheit und zur Mobilisierung vieler aktiver Menschen.

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